Die Wahrheit über mein Auslandsjahr

Am 16. Juli 2019 ging es für mich los. Auf nach Australien. Mit dabei ein Gepäck voller Hoffnungen, Wünsche, Sehnsüchten, Erwartungen und Aufregung. Meine erste große Reise alleine. Ans andere Ende der Welt.

Meine 9 Monate in Australien wurden zur besten Zeit meines Lebens. Australien gab mir soviel mehr, als ich mir jemals zu erträumen gewagt hätte. Und trotzdem war natürlich nicht immer alles rosa rot. Zeit mal ALLE Karten auf den Tisch zu legen.

Eine kleine Warnung vorab: es wird kitschig, emotional und vor allem verdammt ehrlich.

 

"Alle gehen nach australien weil es trend ist/australien ist nichts besonderes"

Australien ist wohl das Nr. 1 Ziel vieler Backpackern, allen voran den Deutschen. Das hat an der Oberfläche mehrere, offensichtliche Gründe (gute Infrastruktur, schön weit weg von der Heimat, "gutes" Klima, hochentwickeltes Land, sehr einfach das notwendige Visum zu bekommen und viele weitere). Es erscheint also einfach, "mal eben" nach Australien zu gehen wenn man etwas Zeit und das nötige Kleingeld hat. Wenn man die Backpacker vor Ort dann aber fragt, war es nur bei sehr wenigen eine spontane Entscheidung nach Australien zu fliegen. Für die meisten war das ein großer Schritt, die Erfüllung eines jahrelangen Traumes und alles andere als wenig überlegt oder kurzfristig entschieden. Ähnlich wie bei mir also. Aber warum zieht ausgerechnet Australien soviele Leute an? Ganz ehrlich: das kann man nur dann so wirklich verstehen wenn man selbst da war. Blöde Antwort, ich weiß. Doch bevor ich nach Australien kam, wusste ich selbst nie so richtig was ich denn da eigentlich genau finden möchte. Australien ist kein exotisches Reiseziel und für viele absolut nichts Besonderes. Und ich weiß natürlich nicht, ob das was mir Australien gegeben hat nicht auch jedes andere Land hätte geben können. Ich weiß nur, dass ich in Australien eine so immense Freiheit gespürt habe, die sich tief in mir verankert hat. Als Lebensgefühl bzw. Lebenseinstellung. Es klingt vielleicht nach einem Klischee und ich bin mir sicher, ganz viele werden das überhaupt nicht nachvollziehen können. Und das könnte mir nicht egaler sein. Ich weiß, welche unglaublichen Möglichkeiten und Chancen einem das Leben bereitstellt wenn man sich nur traut diese anzunehmen und keine Angst hat einen unkonventiellen, von der Gesellschaft so nicht unbedingt vorgesehenen Weg zu gehen. Ich weiß, dass ich und jeder andere das Potential in sich trägt seine ganz eigenen Träume zu verwirklichen. Und dieses Wissen und die Möglichkeit sein Leben nach diesem auszurichten, das ist für mich Freiheit.

Zurück zur Ausgangsfrage. Gehen soviele Leute nach Australien weil es Trend ist? Vielleicht. Aber ist der Trend "das machen was einen persönlich glücklich macht" nicht der schönste Trend überhaupt? Meiner Meinung nach ist es völlig irrelevant, was andere Leute über Deinen Weg sagen. Bestimmt dachten und denken sich viele auch in meinem unmittelbaren Umfeld (würden es aber niemals zugeben) auch das hier:

 

"Du bist nur nach australien weil du nicht wusstest was du sonst machen sollst"

Alle, die das denken oder dachten, ihr könnt euch freuen. Denn ihr habt teilweise Recht. Ich habe noch nie zu den Leuten gehört, die seit der 5. oder allerspätestens 10. Klasse wussten das sie später mal Lehrer, Polizist, Anwalt, Sozialarbeiter oder sonst was werden wollen. Stattdessen hat mich jedes Jahr ein anderes Berufsfeld interessiert, bis ich völlig verwirrt war was denn nun am besten zu mir passt. Meistens nicht besonders hilfreich, auch wenn es meist aus der besten Absicht heraus entsteht, sind Leute die einem von außen reinquatschen. Die meinen sie kennen Dich besser als Du dich selbst. Als ich dann beschlossen habe nach meinem Abi nach Australien zu gehen und mit der konkreten Planung begonnen habe war das für viele Leute der Beweis: "die hat gar keinen Plan was sie mal machen will und läuft deshalb vor der Entscheidung weg bzw. hofft, sie auf einmal durch irgendeine Eingebung am anderen Ende der Welt zu finden". Das sind jetzt nicht unbedingt Worte welche ich für die Beschreibung meiner Situation genommen hätte. Richtig ist aber, dass ich tatsächlich absolut keinen Plan und auch noch nicht mal den Ansatz einer Idee hatte was ich in Zukunft hauptberuflich machen möchte. Da kam mir mein Traum mal nach Australien zu wollen natürlich sehr gelegen, denn so hatte ich zumindest für das Jahr nach dem Abi einen Plan. Hierbei ist aber zu unterscheiden, dass der Wunsch nach Australien zu gehen lange vor meiner Planlosigkeit kam. Genauer gesagt möchte ich nach Australien seitdem ich ca. 14 Jahre alt bin. Abi habe ich mit 19 gemacht. Es war also ein "ich gehe nach Australien und habe für danach noch keinen Plan" und NICHT ein "ich gehe nach Australien weil ich noch keinen Plan habe". Bin ich damit nicht aber trotzdem (wenn auch ohne die Intention zu haben) einer wichtigen Entscheidung davongelaufen? Ja. Ich denke, ich laufe bis heute dieser Entscheidung davon. Das finde ich auch überhaupt nicht schlimm zuzugeben. Ich laufe ja nicht einer Entscheidung davon, weil ich faul bin, keine Lust habe mir Gedanken zu machen oder weil ich den Ernst des Lebens nicht wahrhaben will (ich musste mir allen Ernstes anhören "du bist doch nur in Australien weil Du dich dem richtigen Leben nicht stellen willst". Achso genau. Weil Australien ja auch ein Paralleluniversum ist, indem das "richtige" Leben nicht existiert. Wäre auch mal interessant zu wissen, was das "richtige" Leben überhaupt ist?). Nein, ich nehme mir Zeit um mich selbst besser kennenzulernen, herauszufinden was meine Werte sind, was ich im Leben erreichen möchte, welche Prioritäten ich habe und wie sich das alles in einer beruflichen Tätigkeit vereinen lässt. Für mich persönlich ist das einfach ein viel besserer Weg, als blind auf gut Glück irgendwas anzufangen wo mal irgendwer meinte das könnte ja zu mir passen. Damit will ich jetzt nicht sagen, dass jeder nach dem Schulabschluss die Welt bereisen und einen krassen Selbstfindungstrip starten muss. Du gehst den Weg, der sich für Dich in dem Moment am besten anfühlt. Klingt leicht, ist es natürlich nicht immer. Aber es lohnt sich.

 

"Australien war die beste zeit für dich - also war wohl alles nur mega toll"

Nein. Wenn ich sage, dass meine 9 Monate in Australien die schönste oder beste Zeit in meinem Leben war, dann meine ich damit nicht das ich 9 Monate lang konstant glücklich war und alles perfekt lief. Im Gegenteil. Ich würde zwar schon sagen, dass ich insgesamt betrachtet wesentlich zufriedener als in Deutschland war, aber ich hatte auch einige wenige, dafür aber umso heftigere Niederschläge. Was genau so passiert ist, ist an dieser Stelle viel zu privat, aber es wäre für viele Menschen mehr als Grund genug gewesen sofort nachhause zu fliegen. Ich hatte Tiefpunkte, die nicht lange anhielten, aber richtig überwältigend waren und mich an vielem, vor allem an mir selber, zweifeln ließen.

Ich möchte keinem die Ilusion geben, dass sobald man die Heimat verlässt und sich ins Ausland traut, sich alles zum Besseren wendet. Das Leben enthält nun mal Hoch- und Tiefpunkte, falsche Menschen und Umstände die nicht in Deiner Macht liegen. Sowohl in Deutschland als auch irgendwo anders in der Welt. Für mich ist es manchmal schwierig das wahre Bild eines längeren Auslandsaufenthalts zu vermitteln. Gerade weil er mich menschlich so viel weiter gebracht, mich zum Positiven verändert und mir so viele unvergesslich schöne Erinnerungen und Erfahrungen beschert hat. Gleichzeitig weiß ich aber auch um die negativen Seiten, um die Zerissenheit, die vielen verzweifelten Nächte und die Hilflosigkeit die ich manchmal verspürte. Ich glaube auch, dass so ein längerer Auslandsaufenthalt alleine nicht für jeden etwas ist. Wer nicht körperlich oder psychisch gesund ist, für den können negative Erlebnisse am anderen Ende der Welt schnell zur ultimativen Belastung werden. Auf der anderen Seite glaube ich, dass es für einige Menschen aber auch mal richtig gut wäre sich aus ihrer Komfortzone herauszutrauen und diese Erfahrung zu machen. Es ist alles immer super individuell. Mein Motto ist: wenn Du Lust darauf hast, dann wird es wohl auch eine gute Entscheidung sein es zu tun. Zweifel, Sorgen, Ängste sind dabei natürlich trotzdem völlig normal. Wenn die (Vor)freude größer ist als die Angst, mach es. Du bereust die Dinge, die Du nicht getan hast und selten die Dinge, die Du getan hast.

 

"Früher als geplant nachhause zurückzufliegen war die richtige entscheidung"

Ich wollte ungefähr ein Jahr in Australien bleiben, habe mich aber nie auf ein festes Rückflugdatum festgelegt, da ich die Möglichkeit früher oder später nachhause zu fliegen nie ausgeschlossen habe. Als ich Mitte Februar 2020 meine Farmarbeit abgebrochen habe (siehe hier) habe ich den groben Plan aufgestellt bis ca. Ende Juni in Australien zu bleiben und dann entweder zurück nach Deutschland oder aber nach Neuseeland zu fliegen. Trotz der Corona-Krise hielt ich anfangs noch an meinem Plan fest, bis ich schließlich Anfang April doch entschieden habe zurück nach Deutschland zu fliegen. Ich bin jetzt mittlerweile über 3 Monate wieder hier in Deutschland und weiß bis heute nicht, ob es die richtige Entscheidung gewesen ist zurückzufliegen. Vermutlich werde ich das auch nie wissen, da ich keine Ahnung habe wie mein Leben verlaufen wäre wenn ich in Australien geblieben wäre. Ich weiß nur, dass in dem Moment wo ich die Entscheidung getroffen habe nachhause zu fliegen es sich richtig angefühlt hat. Und vielleicht macht es das dann schon zur richtigen Entscheidung. Trotzdem ging es mir die ersten Tage und Wochen zuhause psychisch nicht wirklich gut, ich habe mir viele Gedanken über meine Entscheidung gemacht und sie immer wieder in Frage gestellt. Auch heute denke ich noch manchmal darüber nach, wie es wohl wäre wenn ich gerade nicht hier sondern in Australien wäre. Oft habe ich auch gedacht, ich hätte zu schnell "aufgegeben", besonders wenn ich auf Instagram oder Snapchat Storys von Bekannten und Freunden gesehen habe die in Australien geblieben sind. Bereue ich meine Entscheidung? Nein. Ich versuche generell nichts in meinem Leben zu bereuen, denn für mich hat alles einen Grund. Aber bin ich glücklich mit meiner Entscheidung? Jein. Letztendlich glaube ich jedoch daran, dass es wohl so kommen sollte. Die Entscheidung früher nachhause zu fliegen macht meine Zeit in Australien nicht weniger schön und nicht weniger lehrreich. Im Gegenteil. Durch diese Entscheidung hatte ich die Möglichkeit nochmal super viel über mich selbst dazuzulernen und zu erfahren, wie ich in Krisensituationen reagiere. Was mir wichtig ist. Wo ich meine Prioritäten und Werte setze. Oder um es mit einem meiner englischen Lieblingszitate auszudrücken: "When everything is uncertain, everything that is important becomes clear" (= "Wenn alles ungewiss ist, wird alles was wichtig ist klar").

Mittlerweile habe ich mich mit meiner Entscheidung und dessen Konsequenzen nicht nur abgefunden, sondern sie wirklich akzeptiert, angenommen und werde das Beste daraus machen. Mir hilft es auch unheimlich, mir immer wieder bewusst zu machen was für ein riesiges Glück ich hatte. Das ich überhaupt nach Australien fliegen und dort fast 9 Monate verbringen durfte. Das ich die Unterstützung meiner Familie und meiner Freunde habe und mich niemand "gezwungen" hat zurück nach Deutschland zu fliegen, sondern das ich meine freie Entscheidung treffen durfte. Das meine Liebsten und ich gesund sind. Das ich keine finanziellen Probleme habe wie so viele andere, die teilweise um ihre Existenz bangen müssen. Das alles ist nie, aber besonders in solch einer globalen Krise nicht selbstverständlich.

Ich versuche mich mehr darüber zu freuen das ich überhaupt diese großartige Zeit erleben durfte und nicht so traurig darüber zu sein, dass sie nun vorbei ist. An manchen Tage gelingt mir das besser als an anderen. Aber ich bin so dankbar für all meine Erfahrungen und Erlebnisse und das Wissen in meinem Hinterkopf, dass sobald die Grenzen wieder geöffnet sind ich an sich jederzeit wieder nach Australien kann, ist unglaublich beruhigend und erfüllend.

 

Was ich sonst noch sagen möchte...

Wenn Du einen Traum hast, und das kann alles sein, dann bitte bitte bitte halte daran fest.

Du bist nicht zu alt. Dein Englisch ist nicht zu schlecht. Du bist nicht zu unselbstständig. Du bist nicht zu ängstlich.

Das sind alles Dinge, welche Du dir im Laufe Deiner Kindheit und Jugend selbst eingeredet und/oder von Anderen (dazu zählt auch unsere Gesellschaft) eingetrichtert bekommen hast. Alles, was Du für die Erfüllung Deines Traumes brauchst, ist bereits in Dir und wartet nur darauf von Dir an die Oberfläche geholt zu werden. Du willst es? Dann kannst Du es auch. Du bist gut genug. Und ja, vielleicht wird es schwierig werden. Vielleicht hast Du keine Vertrauenspersonen Die dich unterstützen. Aber dann lass Dir jetzt von mir gesagt sein, ich bin hier für Dich. Ich glaube an Dich und ich weiß, dass Du ALLES erreichen kannst was Du möchtest.

 

wIE ES JETZT WEITERGEHT

Auch wenn ich vorerst vermutlich keine Beiträge mehr auf diesem Blog speziell über meine Zeit in Australien veröffentlichen werde, bist Du herzlich dazu eingeladen mir jederzeit eine Nachricht zu schreiben wenn Du irgendwelche Fragen zu diesem Thema hast oder mehr über etwas wissen möchtest.

Ich würde mich auch sehr freuen, wenn Du mir entweder hier übers Kontaktformular, in den Kommentaren oder auch auf Instagram (@fenja.b_) schreibst was Du gerne in Zukunft auf diesem Blog lesen möchtest.

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Comments: 1
  • #1

    Carola (Thursday, 16 July 2020 17:20)

    Super geschrieben Fenja. Australien war in meiner Jugend immer mein Traumland. Leider war es zu dieser Zeit unmöglich so etwas zu unternehmen. (DDR-Grenze) Ich weiß aber nicht ob ich wirklich den Mut gehabt hätte, das so durch zu ziehen wie du das gemacht hast. Dafür bewundere ich dich. Sei stolz auf dich und es war auf jeden Fall eine Lebenserfahrung die gewiss nicht zum Nachteil für deinen weiteren Lebensweg ist. Liebe Grüße von Carola